Prolog
Im größten Fladenbrot der Welt steckten drei Leichen. Das Innere des Laibs war getränkt von grünem Blut.
Tongulaus-Wem-es-schmeckt, der Erste Königliche Hofbäcker, stand mit hängenden Schultern vor dem Brot. „Was für eine Schweinerei!“ Er war sehr groß und von so dunkler Hautfarbe, dass die weiß geschminkte Frau neben ihm wie ein Elfenbeinfigürchen wirkte.
„Ein Skandal ist es“, kreischte sie. Sie fasste sich an die Brust und atmete betont schwer. „Man wird mich des Amtes entheben! Einsperren wird man mich, ach was, köpfen!“ Sie begann hektisch auf und ab zu laufen.
„Das schöne Brot“, murmelte Tongulaus.
„Eine Feier, eine schöne Feier, ist das denn zu viel verlangt? Wozu die Mühsal, wozu all die Tage und Nächte, in denen die Arbeit kein Ende nehmen wollte? Keine Herausforderung so groß, dass diese Hände nicht mit angepackt hätten!“
Der Hofbäcker starrte auf die sorgsam manikürten Finger der Frau. Er schwieg. Dann seufzte er und sagte noch einmal: „Das schöne Brot.“
Die Stimme der Frau wechselte ins Weinerliche. „Meines Amtes entheben wird man mich. Nie wieder wird man mich zur Ersten Königlichen Hofzeremonienmeisterin berufen. Vorbei. Aus. Das ist das Ende in so jungen Jahren.“ Ihre Füße irrlichterten weiter durch die Halle.
Der Bäcker stand regungslos vor dem Fladenbrot, das selbst seine riesige Gestalt klein wirken ließ. Er blickte eine Weile nachdenklich auf die drei Echsenmenschen. Sie sahen selbst im Tod noch zum Fürchten aus mit ihren Klauen und Raubtierzähnen.
„Bimkugard?“
„Was denn?“, zischte die Angesprochene, als sei sie gerade bei einer besonders wichtigen Tätigkeit gestört worden.
„Mal angenommen, also nur mal vorgestellt, man würde gar keine Leichen hier finden.“
„So blind kann die Palastwache gar nicht sein, dass sie diesen Unflat nicht augenblicklich ...“ Sie hielt inne und klimperte ihn aus großen Augen an. „Ihr wollt doch nicht etwa sagen ...?“
„Ich meine ja nur“, erwiderte Tongulaus, ohne sie anzuschauen, „ich meine“, nun sah er sie doch noch eindringlich an, „ich meine ... wer würde die drei schon vermissen?“
Bimkugard schnappte nach Luft, steuerte auf die dunkle Gestalt zu und blieb erst bedenklich nahe vor ihr stehen. Wegen des Größenunterschiedes konnte sie dem Bäcker unglücklicherweise jetzt nur auf die Brust sehen. Daher hob sie den Zeigefinger und gestikulierte damit vor seinen Augen herum. „Tongulaus-Wem-es-schmeckt, ich will doch sehr hoffen, dass ich mich verhört habe! Ein solcher Vorfall im Palast ihrer königlichen Majestät und Ihr wagt es, auch nur mit dem Gedanken zu spielen ... Ich finde gar keine Worte für die Verachtung, die Ihr in mir ... Was geht in Eurem törichten Schädel eigentlich vor sich? Glaubt Ihr wirklich, mit dem Verschwinden dieser Toten sei es getan? Das halbe Brot trieft vor Blut, der Geschmack ist dahin. Von diesem fürchterlichen Gestank gar nicht zu reden. Nein, schlagt Euch das aus dem Kopf, aber hurtig. Wir werden diese Widerlichkeit melden, wir werden alle Folgen auf uns nehmen, das werden wir! Man wird eine Untersuchung durchführen, man wird hier keinen Stein auf dem anderen stehen lassen, verlasst Euch darauf. Von Eurem Meisterwerk könnt Ihr Euch schon einmal verabschieden. Ich garantiere Euch, dass Euer Fladen und alles, was sich darin befindet, für immer in den Kammern der Observatoren verschwinden werden. Nichts davon seht Ihr je wieder!“
Tongulaus blickte zwischen seinem Werk und der Zeremonienmeisterin hin und her. Einen Augenblick erwog er, sie in das offene Brot zu werfen.
„Ihr werdet Euren Kopf hinhalten, es ist Eure Küche, Tongulaus, also stehlt Euch nicht davon. Man wird einen Schuldigen brauchen, ach was rede ich, zwei Schuldige. Oh, mir wird ganz schwach.“ Bimkugard strauchelte, offenbar in Erwartung, dass er sie auffange. Als sie merkte, dass nichts dergleichen geschehen würde, kehrte sie zu ihrer gewohnt aufrechten Haltung zurück und räusperte sich. „Jedenfalls sollte uns nichts davon abhalten, unserer Pflicht nachzukommen.“ Sie ließ ihn stehen und hielt auf das Tor des Saales zu. „Wachen? Wachen!“
Tongulaus blieb allein zurück. Er hörte, wie draußen der erwartete Aufruhr losbrach. Seine Finger verschraubten sich in seiner Schürze und er schüttelte den Kopf. „Das schöne Brot“, sagte er erneut.
Es roch noch immer nach frisch Gebackenem.
Und Tod.